Richtig oder falsch: alles eine Frage der Stelle!

Im Zuge der Restrukturierung trennt sich ein grosses Schweizer Unternehmen von einem seiner erfolgreichen IT-Spezialisten, der sich durch exzellente Projektleitungen und eine qualitativ hochstehende internationale Ausbildung auszeichnet. Der Trennung vorausgegangen waren häufige kontroverse Fachdispute mit den Vorgesetzten, aber immer wieder auch ein grosses Lob für die Projekterfolge, die der Mitarbeiter vorweisen konnte.

Der Mitarbeiter war daher von der Entlassung völlig überrascht und fühlte sich persönlich schwer getroffen angesichts seines Engagements für das Unternehmen. Er war emotional aufgewühlt und sah sich ungerecht behandelt. Um seine emotionale Situation zu bearbeiten, konzentrierte sich das Outplacement-Coaching anfänglich darauf, die „kontroversen Fachgespräche“ des Coachees mit seinen Vorgesetzten zu reflektieren.

Eine eingehendere Analyse dieser Gespräche im Coaching ergab, dass der Mitarbeiter vielfach als “Erbsenzähler“, „Oberkritiker“ und „Rechthaber“ bezeichnet wurde. Seine Reflexion im Coaching führte ihn zu der Selbsterkenntnis, bei fachlichen Diskussionen in der Tendenz prinzipiell auf seinem Standpunkt zu beharren, sofern er den als „richtig“ erkannt habe – zumal sich diese Richtigkeit ja in der Projekt-Wirklichkeit dann auch immer wieder bestätigte. Der Coachee erkannte im Laufe der vom Coach initiierten Auseinandersetzung mit seiner Rolle in den Fachgesprächen, dass er mit seinem Auftreten die Akzeptanz seiner Vorgesetzten verloren hatte, zudem zunehmend Zeit-und Reibungsverluste für das Team wie für die Führunmgsebene auslöste und so zu einem Kandidaten für eine Trennung im Rahmen der Restrukturierung wurde. Ihm wurde weiter deutlich, dass seine Verhaltensausprägung in seiner Persönlichkeit verankert war und auch in zukünftigen Arbeitsstellen ein „Stein des Anstosses“ werden könnte.

Richtig oder falsch

Der Coach nahm nun gemeinsam mit dem Coachee einen Perspektivenwechsel vor. Die leitende Frage wurde: Wo können Sie sich als Mitarbeiter mit dieser Persönlichkeitsstruktur eines Menschen, der beharrlich auf Unzulänglichkeiten und Fehler, auch kleinste Fehler, verweist, im Unternehmen produktiv einbringen? Welche Stelle könnte für ein solches Profil passen und wäre interessant für Sie?

Das Coaching ergab als persönliches Projekt eine Karriere-Neuausrichtung: Statt am Arbeitsmarkt als IT-Fachspezialist aufzutreten, richteten sich die Suchaktivität des Coachees auf Positionen im Feld von Controlling und Auditierung. Die Suche war sehr schnell erfolgreich, der Coachee wurde als IT-Auditor in einer grossen öffentlichen Verwaltungseinheit fest angestellt. Seine in anderem Zusammenhang als „Erbsenzähler“, „Oberkritiker“ und „Rechthaber“ abgelehnte Haltung wird ihm in dieser neuen Funktion geradezu abgefordert. Die ehemals vermeintliche Schwäche entpuppte sich als Stärke, die seinem neuen Unternehmen nun zugute kommt.

 

Fragen an den Betroffenen:

Was ging in Ihnen nach der Kündigung vor?

Ich war, ehrlich gesagt, zuerst geschockt und empört. Ein halbes Jahr zuvor im Mitarbeiter-gespräch hatte man mir noch eine spannende Weiterbildung in Aussicht gestellt, und dann auf einmal sass ich hilflos an meinem Pult.

Warum kam Ihre kritische Haltung im Unternehmen nur schlecht an?

Zum einen hören die Leute ja nie so gerne Kritik, vor allem, wenn sie konsequent kommt und vom Fachwissen einfach zutreffend ist. Zum anderen betraf sie vielfach auch den Abteilungsleiter, auch mal Entscheidungen, die von ganz oben kamen. Das kam auf Dauer nicht gut an.

Was brachte das Coaching?

Mir wurde durch die Fragen und Spiegelungen im Coaching deutlich, dass meine sachliche Kritik, die ich übte, bei den Gegenüber offensichtlich Gefühle auslösten, die mit der Sache nichts zu tun hatten. Ich habe vielleicht zu offen gezeigt, dass ich manchmal einfach von den vorgegebenen Entscheidungen nichts hielt, dass sie einfach ohne Sachverstand getroffen wurden. Und es wurde mir dann auch deutlich – der Coach gab immer mal wieder Anregungen, nach Alternativen beim Kritiküben zu suchen -, dass man Kritik auch in anderer Form, etwa mehr als alternativen Vorschlag, bringen kann. Also: zusammengenommen ein veränderter Blick auf mich und meine Wirkung in kritischen Gesprächen.

Welche Auswirkungen hatte das Coaching auf Ihre Gefühlslage?

Erst eher eine Ablehnung des „Feedbacks“ zu meiner Person, aber dann mehr und mehr das Gefühl und die Gewissheit, dass ich auch mit meiner Persönlichkeit gut auftreten und erfolgreich sein kann.

Welche Hinweise gab Ihnen das Coaching für den neuen Job?

„Ganz klar den Hinweis, dass ich eine berufliche Rolle bevorzuge, in der ich mein fachliches Knowhow und mein Blick fürs Detail und kritsche Grundhaltung als Teil meiner Arbeit einbringe, ohne dass sie als persönliche Bemängelung verstanden werden kann, ohne deswegen also anzuecken. Übrigens, diese Stelle als Auditor habe ich ja dann auch recht schnell gefunden.“

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